Ist die, sagen wir: Unaufmerksamkeit, einiger Zeitgenossen ein Naturgesetz? Dann stimmt das Zitat von Ambrose Bierce vermutlich sogar. Mir ist so ein unvermeidliches Ereignis zugestoßen.
Ich begab mich mit meinem Auto in das Parkhaus eines örtlichen, großen Lebensmittelladens, in dem akute Parkplatzknappheit herrschte. Doch ich hatte Glück: direkt vor dem Eingang wurde ein Plätzchen frei. Während ich ein wenig rangierte um in die Lücke zu kommen, hätte ich das Ende voraussehen müssen. Zumindest hätte ich merken können, dass die Dame im weißen Kleinwagen, die den Parkplatz neben meinem besetzte, kognitiv herausgefordert war: sie wäre mir fast reingefahren, da sie den Tipp „immer dahin gucken, wo man hinfährt“ nur widerwillig umzusetzen bereit war.
Während ich gerade dabei war, mich abzuschnallen um mein geparktes Auto zu verlassen, sah ich ungläubig mit an, wie die Dame ausparkte: Sie hatte das Lenkrad bereits komplett eingeschlagen, der Parkplatz war vorher ja für sehr kurze Zeit leer gewesen. Diesen Zustand hatte sie offenbar verinnerlicht und war nicht bereit, von ihrer Vorstellung abzurücken. Es kam, wie es kommen musste: ihre vordere, rechte Ecke schob sich langsam und gemächlich an der kompletten, linken Seite meines Vehikels entlang. Unbemerkt von der Fahrerin. Die war nämlich im Begriff, sich auf und davon zu machen, als ich ausstieg und sie ansprach. Als ich ihr sagte, sie sei mir gerade reingefahren, verkündete sie, dass dies absolut nicht sein könne und auf gar keinen Fall der Realität entspräche sondern ich ihr offensichtlich etwas anhängen wolle. Ich komplimentierte sie zurück in ihre Parklücke wo sie zeternd („Sowas gibt’s ja nicht! Sie können nicht einfach Leuten was vorwerfen! Das ist ja eine Frechheit! Sowas hab ich ja noch nie erlebt!“) ausstieg. Ich deutete auf die weißen Streifen ihres Lacks an meinem Auto und fragte sie, wie der denn wohl dahin käme. Und auf die entsprechende, schwarze Stelle an ihrem Wagen. „Tja,“ war ihre Reaktion, „Sie haben recht!“.
Hört man in der Situation ja gern – doch sofort relativierte sie es: „Aber Ihr Auto ist ja auch alt! Und da (am Radkasten) ist auch ein Kratzer!“
Und an dieser Stelle fing die Frau an, sich um Kopf und Kragen zu reden. Ehrlich, hätte sie sich freundlich entschuldigt hätte ich wohl den Lack abgewischt, gesehen, dass nur leichte Kratzer vorhanden sind – und dies auch nur an einer Leiste aus Kunststoff -, ihr einen schönen Tag gewünscht und mich verabschiedet. Sie war aber nicht freundlich und entschuldigt hat sie sich auch nicht. Stattdessen sagte sie mir, es sei ja eh kein Schaden entstanden – an so einem alten Auto sowieso schon dreimal nicht – und das als Unfall zu bezeichnen eine Sauerei. Ich bot ihr an, die Polizei zu rufen, was sie vehement ablehnte. Auch über die Versicherung laufen lassen wollte sie die Sache auf gar keinen Fall, wobei sie eh nicht einsähe. Schuld zu haben (ich bot ihr an, die Polizei zu rufen) und es könne ja auch sein, dass ich IHR reingefahren sei, schließlich sei ich eingeparkt (ich bot ihr das mit der Polizei an und fragte sie, wie ihrer Meinung nach dieses Manöver ausgesehen haben soll). Letztendlich einigten wir uns darauf, dass sie mir dieses „ich habe einen Schaden verursacht“-Kärtchen von ihrer Versicherung gibt und ich mich dann bei ihr melde und ihr sage, was das etwa kostet. Als ich ihr einen schönen Tag wünschte, sagte sie, den habe sie meinetwegen nun nicht mehr.
Wie unschön ihr Tag noch würde, wusste sie da noch nicht – ich fuhr nämlich zur Werkstatt.
Das, was ich für eine Stoßleiste (die da ist, um Stöße abzufangen) hielt, ist keine Stoßleiste. Es ist eine Zierleiste. Sie ziert das Auto. Wenn sie kaputt ist, bestellt man sie bei Mitsubishi. Sie kostet: 400€.
Diese frohe Botschaft teilte ich meiner Unfallgegnerin noch am selben Abend mit. Diese entgegnete, ich sei ja bestimmt auch bemüht, die Kosten gering zu halten und sie hätte da ja einen Bekannten, in Witten, der macht das bestimmt billiger… aber eigentlich ist sie eh nicht sicher, ob ich nicht doch Schuld sei und sowieso hätten der Werner, ihr Mann, und sie sich ja gedacht „vielleicht möchte die Dame ja selbst polieren und dann geben wir da 100€ oder vielleicht 150€…“
Die Dame möchte nicht selbst polieren – geht eh nicht, ist ja Plastik – ist aber bereit, den Bekannten mal anzurufen. Der hat eine Werkstatt in Witten. Allerdings so schlecht zu erreichen, dass ich zwar mit dem Auto hin- aber mit dem öffentlichen Nahverkehr kaum weggekommen wäre. Außerdem hatte ich die Faxen dicke. Am nächsten Tag rief ich sie nochmal an und sagte ihr, wie die Sache aussieht: Ich kläre das jetzt über die Versicherung. Ich werde das Auto nicht reparieren lassen und dann hoffen, dass sie die Rechnung bezahlt – da hätte ich ja absolut keine Sicherheit. Sie kann den Schaden dann ja bei ihrem Versicherer zurückkaufen.
Natürlich hätte ich den Wagen nicht reparieren lassen sondern mir das Geld von der Versicherung eingesteckt. Daran zu kommen ist jedoch mit einer Menge Unannehmlichkeiten verbunden: als erstes ignoriert die Versicherung den Kostenvoranschlag, den man ihr schickt. Dann zahlen die nur ohne Mehrwertsteuer und sowieso nicht den vollen Betrag sondern nur x Prozent davon. Und bis man das Geld sieht, vergehen ein paar Monate, in denen man wöchentlich hinterher telefonieren kann.
Daher machte ich ihr ein letztes Angebot: 300€, Überweisung binnen der nächsten Tage und der Drops ist gelutscht. Sie nahm an. Und überwies.
Wäre sie mir nicht gleich so bescheuert gekommen, hätten wir uns das ganze Theater gespart…
Salut, Mara.
Sich Ereignisse zu den eigenen Gunsten zurechtzubiegen, schiere Behauptungen zu „Fakten“ umzumodeln & ansonsten Opfern die Schuld zuzuweisen ist zwar eine alte Kulturtechnik der Verlogenheiten – in Zeiten eines charakterfreien, eitlen, egomanen Minority Elect aber scheinbar en vogue & besonders chic.
Offenbar ist die Dame eine überzeugte Salami-Taktikerin, die erst Dinge einräumt wenn sie offensichtlich nicht weiter zu leugnen sind, oder wenn sich schlimmere Konsequenzen andeuten.
Lebensmotto: Schuld haben gefälligst immer die anderen zu sein!
Wundert weiters nicht, dass „Ihre Selbstherrlichkeit“ nix von der Polizei wissen wollte, denn de jure war sie drauf & dran gewesen den Unfallort zu verlassen – Du musstest sie ja erst darauf ansprechen!
bonté
Ja, ich war auch ehrlich überrascht, als der Mechaniker in der Werkstatt sagte, die meisten Schuldigen bei Unfällen würden unfreundlich werden.
Drauf und dran sein, den Unfallort zu verlassen, ist aber erstmal ok – solange man ihn nicht wirklich verlässt. Wäre sie einfach abgehauen hätte ich mir das Kennzeichen gemerkt und sie angezeigt, klar…
Aber die Polizei kann bei Unfällen auch ein Bußgeld verlangen, 35€ glaube ich. Das wollte sie wohl nicht zahlen.