Von Sittenstrolchen und erwürgten Rehen

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Am vergangenen Samstag zelebrierte meine Oma ihren 80. Geburtstag. Mit dabei waren 25 Gäste und angemietet wurde das Gewölbe im Schloss Kemnade, einem Wasserschloss am Rande Hattingens, dessen Baujahr unbekannt ist. Früher stand es auf Bochumer Gebiet, jedoch änderte die Ruhr nach einem Hochwasser ihren Lauf und bescherte Hattingen ein paar km² mehr Fläche – inklusive des Schlosses. Mittlerweile gehört es allerdings wieder der Stadt Bochum, die es 1921 erwarb. Im Inneren befinden sich ein Museum, eine Außenstelle des Standesamtes für Heiratswillige und ein Restaurant.

Angesichts der großen Zahl älterer Gäste finde ich die Wahl der Örtlichkeit eher unglücklich. Wir saßen im Gewölbekeller, das Buffet wurde allerdings im Turmzimmer aufgebahrt. Anders als man denken mag, liegt dieses Zimmer nicht 30m über dem Boden in luftiger Höhe, sondern grenzt direkt an den Keller an – allerdings zu erreichen über eine schmale Treppe ohne Geländer. Mit Tellern in der Hand für einige ein schwerer Abstieg.

We bei jeder Feier wurde mir die Ehre des Fotografierens zu teil… das ist einerseits schön, weil ich was zu tun habe, andererseits nehme ich aber auch die Rolle einer Bediensteten ein- sobald ich etwas anderes in der Hand hatte, als die Kamera, wurde es mir abgenommen, damit ich Fotos machen kann. So wirken auf meinen Bildern jetzt viele der Gäste wie ernsthafte Alkoholiker – mit zwei Gläsern Sekt in der Hand.

Nach einer Rede durch meine Mutter, im Sinne des Familienklimas nicht allzu beschönigend aber wenigstens ehrlich („Im Internet steht, man soll bei so einer Rede zu Ehren der Mutter Sachen sagen wie ‚war immer ein Vorbild, fleißig und herzlich..‘ – aber ich will ja nicht lügen„), wurde das Buffet eröffnet. Es gab jede Menge Fisch und Salat, einzig bei dem Fleisch hatten mein Cousin und ich kein Glück – wir erwischten recht trockene, harte Stücke.

Anschließend wurde ein Spiel gespielt, das bei Geburtstagen eine lange Tradition und wohl schon diverse Freundschaften zerstört hat. Das „Fragen über den Jubilar“-Spiel. Einer der Verwandten, in diesem Fall meine Tante, denkt sich Fragen über das Leben des Geburtstagskindes aus, jeder Gast zieht eine Frage, liest sie vor und beantwortet sie. Einige davon sind ausgesprochen fies, da geht es um ausgespannte Ehemänner, verletzte Briefgeheimnisse und Racheaktionen, ungeahnten Ausmaßes. Die, die dadurch Dinge erfahren, die sie nie hätten wissen sollen, ziehen die Feier meist bis zum Schluss durch und melden sich danach erstmal nicht mehr. Offenen Streit gibt es also keineswegs – was ich, ehrlich gesagt, manchmal etwas bedauerlich finde. Der Entertainmentfaktor wäre nicht uninteressant.

Um nun aber zum Titel zurück zu kommen: Eine der Fragen lautete: „was hat Erika schonmal zubereitet? a) frittierte Ziegenaugen b) Braten vom erwürgten Reh c) Schafhodensuppe“
Man ahnt: es ist Antwort b, der Braten vom erwürgten Reh. Das kam so: meine Großeltern waren in ihren prächtigen Blumen- und Obstgarten schon immer sehr verliebt. Leider auch eine Menge Rehe, die genüsslich die Blumen abfraßen. So auch ein besonders dreistes, das sogar tagsüber und im Beisein der Besitzer den Garten unsicher machte und sich reichlich bediente. Bis mein Opa sich das, damals in jedem Haushalt vorhandene, Gewehr nahm und auf das Reh schoss. Leider war es nicht sofort tot und ein weiterer Schuss hätte die Nachbarn auf den Plan gerufen (1x schießen ist ok, da ist es nur ein getöteter Ehepartner, mehrmals schießen ist ein Familiendrama, das will man nicht), also hat er es erwürgt. Nicht die humanste Methode aber sie führte zum gewünschten Ziel: Bambi in der Pfanne.

Im späteren Verlauf des Abends, mit steigendem Alkoholpegel und dem Verschwinden der Verwandten, die man nur aus Anstand eingeladen hat, wurden die Gesprächsthemen schlüpfriger. Insbesondere der weibliche Part erzählte von seinen Begegnungen mit Sittenstrolchen – was zu einem meiner Lieblingswörter avancierte. Sittenstrolch klingt soviel schöner als Exhibitionist… mir ist ein solcher bisher nicht begegnet und die Schilderungen meiner Verwandten lässt auch vermuten, dass das besser so ist – für den Strolch, nicht für mich. Denn egal, an welche Riembauer ein solcher geriet, es war für ihn eher fruchteinflößend als erregend. Da wurde geschrien und sich gewehrt, Längen geschätzt gespottet und meine Tante verfolgte sogar mal einen auf dem Fahrrad, der nur noch schrie „Bitte lassen Sie mich, bitte!“…

Im nächsten Jahr werde ich 30. Mal schauen, ob ich „groß“ feiere. Es würde sich anbieten, dies mit meiner Mutter, die 60 wird, und ihrem Gatten – 75 – zu erledigen. Jedoch bin ich nicht sicher, ob ich möchte, dass sich jemand Fragen über mich ausdenkt…

 

3 Kommentare

  • Dia dhuit, Mara.
    Ein Jubiläum im Wasserschloss…nobelst könnte man/frau meinen. Aber vor ein, zwei Jahrhunderten waren acht Jahrzehnte auf dem Buckel noch „biblisches Alter“.
    „Das Büffet ist über eine freihändige Treppe zu erreichen“ – bei meinen Beobachtungen zur Büffet-Kultur (Sturmangriff + Plünderung) eigentlich eine nachvollziehbare Strategie… ;-)

    Der rhetorische Heiligenschein ist für solche Festivitäten ja Brauchtum & Ohne-geht’s-nicht; allerdings darf man/frau auch geschickt platzierte Wahrheiten erwarten(*).

    Dieses seltsame Gesellschaftsspiel war mir jetzt bis dato unbekannt (geradezu eine shakespeare’sche Idee!). Allerdings meide ich Jubiläumsfeiern auch eher ausgiebig.

    Vermutbar bleibt doch, dass dem ortsüblichen Lustmolch das Clan-Terrain zu gefährlich geraten ist.
    In den aufgezählten Abwehrstrategien fehlte eigentlich nur der gezielte Schwinger in die Testikel.

    Eigentlich ist die 30 auch nur eine Zahl zwischen der 29 & der 31. Schreibt jetzt aber auch einer, der seine Geburtstage nicht feiert. :-)

    bonte

    (*)muss ja nicht gleich zu ‚Fest‘ a la Vinterberg ausarten

    • Aloha,

      stimmt, der Ansturm auf das Buffet wurde durch die Treppe und das kleine Turmzimmer stark eingeschränkt. Allerdings neigen 80jährige auch nicht so dazu, loszustürmen mit ihren Gehstöcken und Rollatoren.

      Wir haben dieses Spiel schon häufiger bei Geburtstagen gespielt. Es ist einfach „interaktiver“ als ein Vortrag mit alten Familienfotos mittels Powerpoint an die Wand gebeamt. Es macht auch deutlich mehr Spaß, jeder kommt mal zu Wort… Je nach Gehässigkeit der Familienmitgleider lässt sich da auch einiges finden, das Freundschaften, Liebschaften, Ehen oder Familienbande zerstören kann – womit wir dann wieder bei Vinterbergs „Fest“ wären. ;)

      Meine Familie ist weit über Deutschland verteilt, deswegen können die Sittenstrolche niemals sicher sein… für Schmerzen im Intimbereich bin ich dann zuständig, falls mir mal einer begegnet. Erst würde ich allerdings ein Foto machen und per WhatsApp verschicken. Ein einfaches „Meine Güte ist der klein!“ ist sicher nicht so beeindruckend und überzeugend wie ein „Der ist klein. Finden auch alle meine Freunde!“.

      Mara

      • …Powerpoint-Präsentation mit Auszügen aus Familienalben?!
        Noch so ein Grund, Jubiläen ausgiebig zu meiden.

        Für die Macker mit dem Kleinen unterm Mantel empfehle ich solides Stiefel-Schuhwerk…

        bonte

Was bisher geschah…