Geschichten aus meinem Gehirn: Clementinen

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Ich freue mich schon das ganze Jahr über auf die Clementinen-Zeit im winter weil ich die Dinger einfach mag. Sie sind mit Sicherheit das beste Obst, das es gibt… unter anderem auch, weil ich mir irgendwann als Kind ein gewisses zwanghaft-rituelles Verhalten angeeignet habe.

Als erstes schäle ich die wehrlose Frucht. Ganz besonders toll finde ich es, wenn man dieses weiße Ding in der Mitte dabei mit der Schale rausziehen kann (das bringt Glück!). Dann halbiere ich den Rest bzw. halbiere ihn so grob – bei einer ungeraden Zahl Stücke ist eine fachgerechte Halbierung ja nicht möglich.

Nun trenneich, wie wohl jeder, jedes Stück einzeln vom Rest. Und dann halte ich es gegen das Licht.
Ist ein Kern drin, sieht man den sofort und der Spaß kann beginnen: Das Clemenetinenstück ist mein Patient. Als Kind habe ich ihm bei der Geburt des Kerns geholfen. Damals nahm ich noch einen Zahnstocher und ein Messer zu Hilfe. Mit zunehmendem Alter begriff ich jedoch, dass der Anblick einer Person, die mit diversen Haushaltgegenständen vor sich hinmurmelnd ein Stück Zitrusfrucht zerlegt, auf die meisten Menschen… nun, eine gewisse Verwirrung hervor rufen mag.

Wirklich geändert hat sich aber nichts, außer, dass es weniger auffällig ist. Das Clementinenstück hat mittlerweile einen Namen. In Gedanken sage ich zu ihm: „Herr Meier, es tut mir leid, Ihnen mitteilen zu müssen, dass sie einen Tumor haben“. Mit zunehmendem medizinischen Wissen wurden aus Babys Tumore. Als Kind konnte ich mir einfach nicht genug Dinge vorstellen, die aus Körpern entfernt werden müssen. Ich trenne nun die die Haut meines Patienten auf. mittlerweile tue ich das meisten mit den Fingernägeln am schmalsten Teil, ich reiße einfach oberhalb des Kerns ein Stück der Haut ab. Durch diese Öffnung wird anschließend der Kern hinausgefummelt. Das hört sich einfach an, ist es aber nicht unbedingt. Manchmal spritzt dabei ziemlich viel Saft raus – da ist der Blutverlust dann so hoch, dass mein Clementinenmensch beinahe verblutet. Meist kann er aber noch gerettet werden. Ist der Tumor erstmal entfernt und der Patient auf dem Weg der Besserung… esse ich ihn.

Dieses Schicksal bleibt auch nur denen erspart, deren Tumore bereits gestreut und überall Metastasen gebildet haben – also Clementinen mit 3 oder mehr Kernen…

Willkommen in meinem Kopf.

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