„Sorry, dass ich eben einfach weg war, aber…

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…mein Nachbar hat gerade versucht, seine Frau umzubringen!“

Das wollte ich schon immer mal schreiben können, jetzt war es endlich so weit.
Besagter Nachbar ist dement und war auf den Gedanken gekommen, den schon viele Männer vor ihm hatten: er wollte seine Frau vor die Tür setzen. Was ihn von den anderen Männern unterschied? Er ist dement. Und entschlossen.

Dass meine Nachbarin im Flur rumbrüllte, irritierte mich nicht weiter. Das tut sie öfter, wenn besagter Mann sich auf dem Weg in die Stadt oder sonst wohin befindet – bzw. weglaufen will. Erst, als ich beim Fegen mehrmals das Wort „Hilfe!“ verstand, dachte ich mir, da könne ja was nicht stimmen (denn „Hilfe“ war, wenn mich nicht alles täuscht nicht der Name meines Nachbarn). Also habe ich dann doch mal geguckt und siehe da, er hatte sie am Kragen gepackt und wollte sie aus der Wohnung befördern, sie wehrte sich.

Nun kenne ich mich ja dank meiner mittlerweile toten Oma mit Dementen aus und war auch nicht weiter überrascht, als er mich nur anschnauzte und mir mit Gewalt drohte. Ich ging also erstmal zu zwei anderen Parteien hier im Haus, wo Männer wohnen – Nr. 1 im Urlaub, Nr. 2 hatte gerade keinen Bock, zu helfen, war aber nicht davon abzuhalten, die Tür die ganze Ziet offen zu lassen um auch ja ncihts von der Gaudi zu verpassen.

Mein Angebot, einfach die Polizei zu rufen, schlug meine Nachbarin aus. Sie wollte eigentlich nur, dass sich ihr Mann hinsetze, dieser hatte da aber gerade keine Lust drauf. Ich erklärte ihr, dass es drei Möglichkeiten gäbe, DIESES Problem zu lösen. a) er setzt sich freiwillig hin b) die Polizei kommt und setzt ihn hin c) ich setze ihn hin (das hätte dann weniger sanft stattgefunden, als wenn die Polizei es getan hätte). Nach meinen großzügigen Angebot beschloss meine Nachbarin, er könne wohl doch stehen bleiben.
So grotesk die situation auch war, man gewöhnte sich recht schnell daran. Mittlerweile gehörten meine Nachbarin die heulte und hin und wieder „lass mich los!“ sagte und ihr Mann, der nichts tat, außer sie festzuhalten, irgendwie einfach zum Interieur des Treppenhauses. Genau wie die Waschmaschine, die unlängst 2 Wochen lang vor meiner Tür stand. Ich stellte mir vor, wie ich um die beiden herumputzen müsste, und fragte mich, wie ich denn die Fußmatte ausschütteln solle, immerhin stand er darauf.

Mittlerweile war sie auf den Gedanken gekommen, doch einfach mal die gemeinsame Tochter anzurufen, die gerade bei der Arbeit war. Also nicht sie wollte sie anrufen aber das könne ich ja tun. Hatte ich nun wenig Probleme mit, ich wählte also, sollte aber nicht die Situation schildern, das wollte meine Nachbarin übernehmen. Nun, ich denke „Marina, Papa flippt aus!!!!“ 3x ins Telefon zu kreischen war nicht das, was ich unter einer Situationsschilderung verstand. Während sie mit ihrer Tochter telefonierte nutzte er die Gelegenheit, ihr an den Hals zu fassen und zuzudrücken. Sie kreischte also „jetzt versucht er mich umzubringen“ und drückte mir unmittelbar danach das Telefon in die Hand. Die Tochter schien zunächst ein wenig überfordert mit meiner stoischen Sachlichkeit, als ich ihr das Bild, welches sich mir bot, beschrieb: „Ja, Ihr Vater würgt Ihre Mutter gerade. Ich könnte die Bullen rufen…“. Überraschenderweise lehnte auch die Tochter dies vehement ab, mit der Begründung, ihr Vater lande dann ja in der Klapse und da würde sie ihn nie wieder rausbekommen. Ob der Tatsache, dass meine Nachbarin gerade zu röcheln begann, erschien mir dies ein recht faires Angebot zu sein. Dies der hysterisch-panischen Tochter mitzuteilen war selbst mir dann aber doch zu grob. Töchterlein beschloss also, heute mal früher Feierabend zu machen und stattdessen ihre Eltern von einem gegenseitigen Mord abzuhalten. Währenddessen zerrte mein Nachbar seine Gattin in die Wohnung und schlug die Tür zu.
Ich muss zugeben, wirklich enttäuscht war ich nicht, immerhin hatte ich jetzt keine Verantwortung mehr. Auf anraten der Tochter klingelte ich 1x, worauf natürlich niemand reagierte. Dafür hörte man von drinnen ein paar dumpfe Schläge und einiges Gekreisch in Richtung „du tust mir weh!!“. Die Tochter hatte aufgelegt und war wohl im Angsicht der Tragödie, die sich zu Hause gerade abspielte, zu ihrem Auto gestürmt.

In der Wohnung meiner Nachbarin war es still geworden also ging ich in meine eigene zurück und ließ einfach mal die Tür offen, um mögliche neue Entwicklung unmittelbar und live mitzubekommen. Währenddessen überlegte ich, wie ich der Kripo erklären könne, dass ich zwar die ganze Zeit daneben gestanden, nicht aber die Polizei gerufen habe, während quasi direkt vor meinen augen ein mord geschah. Und, ob die Fernsehteams, die bei einer Familientragödie anrücken, wohl zuließen, wenn ich komplett in schwarz vor der Kamera stünde. Vermutlich wäre mein Interview eh nie gesendet worden, ich bin einfach für die von Dramatik und Pathos durchtränkte Medienlandschaft zu nüchtern und die Antwort „Ja!“ auf die Frage „hätten Sie Ihrem Nachbarn das zugetraut?“ wäre wahrscheinlich auch die falsche gewesen.

Ein erneutes Rufen meiner Nachbarin riss mich aus meinen gedanken und ich war fast ein wenig enttäuscht, dass ich doch kein Interview geben durfte. Sie stand im BH (Jesus!, den Anblick wünsche ich neimandem!) in der Tür, ihr Mann saß hinter ihr auf einem Stuhl. Sie heulte, bedankte sich, sagte, ihr Mann flippe heute noch so richtig aus. Ich gab ihr das Telefon zurück und sagte, ihre Tochter sei ja jetzt unterwegs. Sie bedankte sich und ihr Gatte fing wieder an rumzuschreien und mich zu bedrohen, kam zu uns, schubste seine Frau weg und schlug mir die Tür vor der Nase zu und verschloss sie hinter sich.
Ein paar Minuten später kam die Tochter die Treppe raufgehetzt. Die Erfahrung oder eine gewisse Gabe der Vorahnung hatte sie erst vor wenigen Monaten ein Schloss einbauen lassen, das von außen aufgeschlossen werden kann, auch, wenn von innen ein Schlüssel in ihm steckt.

Mehr bekam ich leider nicht mit, bis gerade der Krankenwagen kam und meine Nachbarin abtransportierte.
Ja, so langsam tun sich hier Abgründe auf. Und ich dachte schon, ich sei das Abgründisgte, was hier wohnt. Da habe ich mich wohl geirrt – Gott sei Dank. Ich komm mir so normal vor. x)

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